Diese symbolische Zen-Geschichte verweist auf ein frühes Erlebnis, welches das ganze weitere Leben beeinflusst. Und zwar solange, bis ein äußerer Impuls das wahrhaftige Innere zum Leben erweckt:

Es geschah inmitten der Steppe: eine Löwin brachte ein gesundes Löwenbaby zur Welt und wurde kurz darauf von Wilderern erschossen. Das wehrlose und hilflose Löwenbaby wurde zu seinem Glück von einer vorüberziehenden Schafherde aufgenommen und von einer mitleidigen Schafsmutter adoptiert.

Das Löwenkind wuchs heran und lernte alles, was ein Schaf wissen muss: blöken, saftige Gräser suchen und vor allem, dass man sich vor den großen, gefährlichen Löwen in Acht nehmen muss. Der junge Löwe lernte das alles und glaubte tatsächlich, ein Schaf zu sein!

Eines Tages kam ein gefürchteter Löwe aus den Bergen, um sich ein Schaf zu reißen. Er traute seinen Augen kaum, als er inmitten einer Schafsherde einen Löwen friedlich grasen sah!

Die Schafsherde inklusive „Löwenschaf“ floh augenblicklich voller Panik, der Löwe fing den flüchtenden Schafslöwen ein, der vor Angst zitterte, und brüllte ihn an: „Bist Du vollkommen verrückt geworden, Du bist ein Löwe und frisst Gras, blökst wie ein Schaf!“

„Was soll ich denn sonst fressen, ich bin doch nur ein kleines, schwaches Schaf. Bitte tu mir nichts, lass mich laufen. Ich will zu meiner Familie zurück!“

Doch der mächtige Löwe gab nicht locker und zerrte den Schafslöwen zu einem nahen See. Dort zwang ihn, in sein Spiegelbild im Wasser hineinzuschauen.

Allmählich begann es in dem noch immer vor Angst schlotternden Löwen zu dämmern, und es wurde ihm klar: Er war in Wahrheit ein Löwe, und kein kleines, schwaches Schaf.

Er erhob seine Stimme und brüllte bald ebenso gewaltig wie sein Lehrer, mit dem er nun in die Berge zog.